170 Jahre WERK 2
DIE CHRONIK
Gründung einer Gasmesserfabrik durch Ed. Siry
1848 wurde das heutige Areal des WERK 2 vom Franzosen Edmund Siry im noch dörflichen Connewitz gekauft. Ehemals befand sich dort eine Gärtnerei. Er gründete eine Gasmesserfabrik „Fa. Alc. Siry, Lizars & Cie“, da ab Ende des 19. Jahrhunderts die Stadtbeleuchtung mit Gas auf dem Vormarsch war und war damit Teil des industriellen Aufschwungs in Connewitz. Zudem war die Lage Leipzigs im Herzen Europas für gute Vertriebswege von großem Vorteil.
Schon damals gab es einen Fachkräftemangel, so dass Siry den Zunftmeistern das Anheuern von weiteren Fachkräften zusichern musste.
Zur Gründungszeit kamen viele Leipziger nach Connewitz zur Sommerfrische, so auch Goethe, der ganz in WERK 2-Nähe ein Liebchen besuchte.
Erweiterung durch eine Eisengießerei
Neubau der Halle A in Form einer dreischiffigen Basilika
1886 begann der Bau der Halle A mit einer einstigen kleineren Grundfläche, als über die sie heute verfügt. Nachträglich wurde sie um 20 auf 60m Länge erweitert. Zur Gründerzeit war es üblich, Fabrikgebäude mit sakralen Elementen zu bedenken. So wurde diese Halle einer dreischiffigen Basilika nachgeahmt. Die um die Hälfte kleinere Halle D wurde 1897 mit einem Sheddach (Sägezahndach) erbaut.
Übernahme durch die Firma Schirmer, Richter und Co.
Seit 1865 arbeitete Wilhelm Schirmer eng mit den Franzosen zusammen. Er übernahm die Firma 1888 zusammen mit seinem Schwager Karl Richter als persönlich haftende Gesellschafter, es erfolgte eine Umbenennung in „Schirmer, Richter und Co.“ Das hing unter anderem damit zusammen, dass nach dem deutsch-französischen Krieg die Franzosen ein sehr schlechtes Renommee hatten und man sich vom deutschen Firmennamen ökonomische Vorteile versprach.
Die Firma blieb aber trotzdem als Kommanditgesellschaft in französischer Hand. Wilhelm Schirmers Sohn, ebenfalls Wilhelm, übernahm 1926 nach dessen Tod die Geschäfte. Er erhielt ein festes Gehalt und hatte Anspruch auf einen Teil des Jahresgewinns. Aus dessen Ehe mit Pieternella-Cornelia Kraft (die später auch Gesellschafterin wurde) ging wiederum ein Sohn hervor – wieder ein Wilhelm. Schon damals erfreute man sich an kreative Namensgebung… oder an besonders traditioneller.
(Foto: Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig – SLUB Dresden Hist.Sax.M.36.v-2)
Zwangsarbeit während des 2. Weltkrieges
Zu Kriegszeiten wurde der Rüstung zugearbeitet. Die Arbeitskräftesituation verschärfte sich, da viele Arbeiter an die Front gerufen wurden. Daher wurden bis Kriegsende um die 400 Zwangsarbeiter*innen in der Firma beschäftigt. Das dunkelste Kapitel in der Werksgeschichte bricht an.
Auf dem Gelände befand sich zudem das Gemeinschaftslager „am Kreuz“ (in manchen Quellen auch „zum Krug“), welche auch Arbeiter*innen anderer Firmen in Connewitz beherbergte, z.B. drei Zwangsarbeiter für einen Klempnermeister in der Bornaischen Straße. Die Zwangsarbeiter*innen arbeiteten und lebten unter desolaten Zuständen.
Sie wurden gezwungen bis zur völligen körperlichen Erschöpfung zu arbeiten und wurden schon bei nichtigsten Vergehen hart bestraft. Die Arbeiter*innen waren rechtlos und konnten nach Gutdünken der Aufseher und Obrigkeiten rücksichtslos ausgebeutet werden. Die Arbeitsverträge wurden bewusst schwammig formuliert: „Ich verpflichte mich, die mir auferlegten Arbeiten gewissenhaft zu erfüllen.“ Natürlich lag es im Ermessen des Vorgesetzten, was genau gewissenhaft bedeutet.
Nach 1940 wurde der Betrieb als Feindkapital behandelt und unter Reichstreuhänderschaft gestellt. Im Krieg erlitt das Werk nur wenige Schäden und konnte die ganze Zeit weiter produzieren.
Nach Kriegsende kamen Wilhelm Schirmer und sein Sohn in Haft
Am 16.10.1948 wurden der persönlich haftende Gesellschafter und sein Sohn in einem Gerichtsverfahren nach dem Befehl 201 der Alliierten zu Haftstrafen (3 Jahre und 18 Monate) verurteilt. Der Betrieb kam unter Treuhandverwaltung der Stadt Leipzig. Eine durch das Ministerium für Maschinenbau geplante Schließung wegen unrentabler Arbeit wurde durch das Ministerium für Finanzen mit dem Hinweis auf das 100%-ige Fremdvermögen verhindert. Ab 25.06.1951 wurde die VVB Mechanik-Dresden Verwalter von Schirmer, Richter & Co., Leipzig. Später kam der Betrieb zum VEB Werkstoffprüfmaschinen Leipzig.
Liquidierung der Firma „Schirmer, Richter und Co.“; Weiterführung als VEB Werkstoffprüfmaschinen, Betriebsteil Werk II
Firmierung der VEB Werkstoffprüfmaschinen Leipzig
Am 4. Juni 1952 wurde das Unternehmen verstaatlicht und firmierte unter dem Namen „VEB Werkstoffprüfmaschinen Leipzig“. Schwerpunkt der Produktion in den Folgejahren waren Zugfestigkeitsprüfmaschinen und die Palette der Härteprüfer, Pendelschlagwerke und Druckfestigkeitsprüfmaschinen. Die Maschinen bewährten sich durch hohe Qualität in zahlreichen Ländern der Erde und begründeten den guten Ruf der Firma. WPM Leipzig entwickelte sich zum größten Prüfmaschinenproduzenten im Ostblock mit über 1000 Mitarbeiter*innen.
Kegelbahn
In den 70ern wurde für die Mitarbeiter*innen des VEB eine Kantine erbaut sowie eine Kleinsportanlage mit Kegelbahn (heute Frauenkultur Leipzig e.V. und Tattoo-Studio). Das besondere an dieser Kegelbahn war ihre automatische Kegelaufstellvorrichtung, die wohl – man munkelts – in diesen Zeiten nur den Bonzen in Berlin vorbehalten war.
Der Kegelverein existierte bis 2014 und löste sich dann wegen des Altersdurchschnitts von 87 Jahren selbst auf.
Rückübereignung
1990 wurde die Fabrik dem französischen Unternehmen Schlumberger S.A. Montrouge rückübereignet.
Vereinsgründung
Mit Abwicklung des VEB-Bestandes und dem Versuch einer Rettung der wirtschaftlichen Strukturen durch eine Auffanggesellschaft (Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Entwicklungsgesellschaft BQEG Leipzig Süd GmbH) 1990/91 entstanden erste Ideen für eine kulturelle Nutzung.
Erste Kurse der bis heute bestehenden Werkstätten Grafikdruck, Keramik, Glasbläserei wurden in den Räumlichkeiten durchgeführt.
1992 gründete sich der Verein als Leipziger Kulturzentrum Connewitzer Kreuz e.V., jetzt WERK 2 – Kulturfabrik Leipzig e.V.
Bereits im Frühjahr und Sommer fanden erste Theaterfestivals statt; ein fester Veranstaltungsturnus startete ab September 1992.
Nutzung der Räumlichkeiten
1993 sollte auf dem Gelände eigentlich ein Einkaufszentrum entstehen, was aber zum Glück aus diversen Gründen nicht geklappt hat.
Die Bausubstanz war vorwiegend marode, über die Kriegsjahre und in DDR-Zeiten erfolgte kaum eine Instandhaltung, Dächer und Fenster waren undicht, die Heizung veraltet, Elektrizität störanfällig.
Verschiedene Vereine werden im WERK 2 ansässig, wie der Theaterverein struktur fokal, der Literaturverein eDiT eFaU e.V., die Gesellschaft für Völkerverständigung e.V. und das Büro für Off-Theater e.V.
Der WERK 2 Kulturfabrik Leipzig e.V. wird Dachverein von vier hier ansässigen Vereinen.
Erwerb durch die Stadt Leipzig und Leihvertrag
Die Stadt Leipzig beschließt den Erwerb des in französischem Eigentum befindlichen WERK 2 und seine weitere Nutzung als soziokulturelles Zentrum; es beginnen Baumaßnahmen zur Nutzung der Halle A als Veranstaltungsstätte. Ein schönes Beispiel für die Umgestaltung denkmalgeschützer Industriearchitektur hin zu einer modernen, kulturellen Nutzung. Der Grundstein für das größte Soziokulturelle Zentrum in Sachsen war gelegt.
1997 wurde der Leihvertrag, der die Nutzung durch die Vereine unter dem Dach des WERK 2 – Kulturfabrik Leipzig e.V. bestimmt, besiegelt. Der Bau der Halle A wird um einige Monate zurückgeworfen, als es im September zu einem Großbrand in der Halle B des WERK 2 kommt. Als Ursache wird Brandstiftung festgestellt.
Die bis heute bekannte und beliebte Kneipe ConnStanze eröffnet. Der Name hat nichts mit dem Frauennamen zu tun, sondern hier war zu VEB-Zeiten die Stanzerei.
Halle A Sanierung
Nach fast 3-jähriger Sanierung wird im September die Halle A feierlich zur Nutzung übergeben. Sie gilt als das Herzstück des Geländes und besticht durch ihren basilikaähnlichen Anmut in Fusion mit industrialen Elementen. Ursprüngliche Einbauten wurden erhalten, so dass noch immer anschaulich ist, wofür die Halle einst genutzt wurde. Eindrucksvoll sind die Drehmaschine und die Krananlage mit dazugehörigem Schiebesystem, welches noch heute für Lichtinstallationen in Gebrauch ist.
Kulturarbeit und Vereine
Der Frauenkultur e.V. Leipzig zieht in das WERK 2 ein. Die erste Pop Up (Messe und Musikfestival) startet im WERK 2.
2001 gründeten sich die Connewitzer Cammerspiele und etablierten sich als kleinstes Theater Leipzigs auf dem Werksgelände. Immer mehr Künstler kommen ins WERK 2, außerdem betreut das WERK 2 viele alternative Projekte und kann eine große Zahl fester Partner gewinnen, so z. B. das Leipziger Tanztheater, die Musikschule Johann Sebastian Bach und das Theatermanöver.
10 Jahre Verein
Das WERK 2 feiert zehnjähriges Jubiläum.
Projektarbeit
Zunehmend wird das WERK 2 ein Publikumsmagnet und ist nicht mehr aus der Kulturszene Leipzigs wegzudenken. Zum ersten Mal richtet die Kulturfabrik die „Schulband Factory LE“ und im Rahmen des Leipziger Bachfestes „B.A.C.H. – Alternative Compositions on Historical Basics“ aus. Das interkulturelle Projekt „Wasserhahn“ startet. Durch künstlerische Projekte für Kinder und Jugendliche werden Schulen in Addis Abeba unterstützt.
weiterer Umbau
Die Architekten Augustin und Imkamp erstellen im Auftrag des Kulturamts und des WERK 2 einen Masterplan zur Sanierung der Liegenschaft in fünf Bauabschnitten. Des Weiteren fungiert das WERK 2 erstmalig als Ausbildungsbetrieb mit zwei angehenden Veranstaltungskaufleuten.
Das WERK 2 gibt die drei Außenwände der Hallen A und D als neue „Wall Of Fame“ frei und bietet so legale Flächen für Sprayer*innen.
erster Weihnachtsmarkt
Der erste alternative Weihnachtsmarkt „Weihnachten am Kreuz“ findet auf dem WERK 2 Gelände statt und erfreut sich größter Beliebtheit.
Auch weitgereiste Gäste können begrüßt weren: die westaustralische Ministerin für Infrastruktur und Planung, Alannah MacTiernan, informiert sich über die Arbeit des WERK 2 – Teams.
Eröffnung Halle D
Das Bekenntnis der Stadt zum Erhalt des Werksgeländes und den positiven Rückhalt der Leipziger Politik machen die Planung und den Neubau der Halle D möglich. Nach Planungen in 2009 wird im September 2010 die sanierte Halle D feierlich eröffnet. In dieser finden seit diesem Zeitpunkt verschiedenste Veranstaltungsformate (Theater, Lesungen, Konzerte, Parties,..) bis zu 450 Gästen statt.
20 Jahre Verein
Das WERK 2 feiert sein 20. Bestehen und gleichzeitig die Fertigstellung der neuen Auffahrt zur Freifläche, sowie eine neue Hofpflasterung, die niemanden mehr stolpern lässt.
Übernahme der Gastronomie Halle A durch den Verein
Friederike
Der Sturm Friederike wehte auch über das WERK 2 im Januar 2018. Dabei wurde das Dach der Halle 5 abgedeckt und ein Baum fiel vom Eingangsbereich direkt auf die Kochstraße. Zum Glück wurden weder Mitarbeiter*innen noch Passanten verletzt.
Lockdown
Bis Anfang März hatten wir noch ganz normal Betrieb. Bands sind aufgetreten, Lesungen haben stattgefunden, Kurse wurden durchgeführt und ihr ward immer dabei. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sich daran jemals etwas ändern wird. Am 11. März fand die letzte Veranstaltung statt, dann kam der Lockdown. Eine Pandemie – boarrr, eine nie dagewesene Situation erwischte uns kalt genauso wie euch und alle. Wir stürzten uns auf digitale Formate, schickten Livekonzerte ins Netz, Kurse fanden online statt und digitalisierten sogar unseren Weihnachtsmarkt. An zwei Aktionstagen #nurmitkultur nahmen wir teil und waren Teil des Orgateams des outside-Festivals, welches durch die Stadt Leipzig ermöglicht wurde.
Open Air Jahr
Anfang des Jahres sind unsere Hallen und Werkstätten noch immer geschlossen. Lockerungen ab Ende März. Juhu, es geht wieder los, immer mit Hygienekonzept und coronagerechten Bedingungen. Wir haben uns nach draußen orientiert und unsere 1. Sommerbühne am Panometer zusammen mit dem UT-Connewitz veranstaltet. Sechs Wochen Open Air und es fühlte sich ein bisschen wie Normalität an.
WERK 2 – Kulturfabrik Leipzig e.V. feiert 30 Jahre
Wir feiern Geburtstag! So steht der September unter dem Banner: Festwochen im WERK 2: 30 Jahre Soziokultur am Connewitzer Kreuz.